Das Loblied auf Brüssels Bürokraten

mit freundlicher Genehmigung der Falter Zeitschriften Ges.m.b.H.

 

Wer sind diese EU-Bürokraten, diese Beamten neuen Typs, die wir Eurokraten nennen? Der Schriftsteller Robert Menasse flog nach Brüssel, nahm sich eine Wohnung und versuchte, möglichst viele von ihnen kennenzulernen. Dann erlebte er eine Überraschung

 

Erste Überraschung: Die Kommission ist eine offene und transparente Institution. Ich fand offene Türen vor und auskunftsbereite Beamte. Und wenn man in den Korridoren des Berlaymont-Gebäudes plötzlich zu einer Flucht von verschlossenen Türen kommt, dann ist das ein Sonderfall, dann befindet man sich in der Generaldirektion für Kultur (aber das ist eine eigene Geschichte).

 

Zweite Überraschung: Die Brüsseler Bürokratie ist extrem schlank. Die EU hat zur Verwaltung des ganzen Kontinents weniger Beamte zur Verfügung als alleine die Stadt Wien.

 

Dritte Überraschung: Die Brüsseler Bürokratie ist extrem sparsam und bescheiden. Die Arbeitszimmer der Beamten sind, selbst in den oberen Etagen der Hierarchie, funktional, sonst nichts. Da gibt es kaum Annehmlichkeiten und keinen Luxus.

 

Vierte Überraschung: Die Brüsseler Bürokratie ist unglaublich billig. Für die Verwaltung eines ganzen Kontinents und für die Erfüllung all ihrer Aufgaben haben die EU-Institutionen ein Budget zur Verfügung, das sich auf zwei Prozent des europäischen BIP beläuft. Es gab noch nie in der Geschichte ein annähernd so großes und annähernd so kühnes Projekt, das nicht ein Vielfaches gekostet hat.

 

Fünfte Überraschung: Die Beamten sind lustig. Ich traf kaum trockene und verknöcherte Menschen, so wie man sich Beamte eben vorstellt. Durch ihre Arbeit am europäischen Projekt wurden die Merkmale ihrer jeweiligen nationalen Identität zu Schrullen, mit denen sie selbstironisch umgehen. Man kann auch sagen: Befreit von nationaler Verbiesterung wird Mentalität erst zur Kultur.

 

Quelle und vollständiger Artikel, Falter, 16. Mai 2012

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