Schwarzenbergplatz

Haben Sie Interesse an Diplomatie? Dann sollten Sie weiterlesen. Am 4. Dezember 2004 fand die Uraufführung von „Schwarzenbergplatz“, im Kasino am Schwarzenbergplatz (Dependance des Burgtheaters) statt. Ich wusste vorher also nicht, was mich dort erwarten würde – war aber vom Ergebnis recht angetan. Das Regie-Team „Rimini-Protokoll“ lässt keine geschriebenen Stücke von Schauspielern nachspielen, sondern macht Theater im Dokumentarstil. Die Akteure sind „Praktiker“, die Einblicke in ihre Tätigkeit liefern und Anekdoten erzählen, dramaturgisch aufgearbeitet. Neun Personen – sie decken mit ihren „Rollen“ einen großen Teil der Bereiche ab - zeigen so die Theatralik hinter der Diplomatie, dem Protokoll. Zwischen Flaggen, rotem Teppich und „Jubelkraut“ fügen sich so persönliche Geschichten zu einem Mosaikbild zusammen.

Eine der handelnden Personen wird den Besuchern unserer Türkei-Veranstaltung im Mai 2004 noch in Erinnerung sein: Botschafter i.R. Dr. Wolfgang Wolte – nur, dass er bei uns nicht gesungen hat. Martin Thelen vom Außenministerium markiert auf einer Weltkarte mit lakonischen Kommentaren die österreichischen Botschaften. Der Mitarbeiter eines Konsulats und ehemalige Chauffeur eines hochrangigen Diplomaten erzählt über die Verschwiegenheit. Der ehemalige Gardebataillonskommandant Major Thomas Mader zeigt die Dramaturgie eines Staatsbesuches. Die Inhaberin eines Fahnengeschäftes erläutert die Bedeutung einzelner Farben und andere Besonderheiten (klingt trocken – aber sehr witzig gemacht!): „Das ist die Fahne eines großen Landes: Oberösterreich. Oder Polen.“ Dazwischen die Ex-Generalkonsulsgattin Brigitte Hörbinger, die ihre „Auftritte“ in verschiedenen Städten mit ihren dort getragenen Kleidern verbindet. In knappen Schlusssätzen spricht sie von ihrem letzten Auftritt – bevor sie das Leben zwischen teuren Kleidern und noblen Empfängen aufgab und ihren Mann verließ.

Der Leiter der Wiener Fremdenpolizei (früher bei der Staatspolizei für Staatsbesuche zuständig) Dr. Willfried Kovárnik erzählt, was Visumssuchende „vorspielen“, um hierher kommen oder hier bleiben zu können. Eine chinesische Gesangsstudentin zeigt die andere Seite der Bürokratie („solange ich singe, kann ich hier bleiben“). Damit – und mit Dr. Wolte, der Botschafter in China war – zieht sich auch China als roter Faden durch den Abend. Gegen Ende des Abends tritt Dr. Kovárnik – der nebenbei Hobby-Schauspieler ist – als Kaiser Franz Joseph auf, spielt seinen Part eines Sissi-Films. Die dazugehörige Sissi (Romy Schneider) kommt von einer Leinwand – in der chinesischen Synchronisation.

Nicht nur hinter die Kulissen der Diplomatie, sondern auch hinter die Kulissen des Hauses am Schwarzenbergplatz wird geblickt. Der Theatersaal ist ja der ehemalige Ballsaal des Offizierskasinos, im Haus befinden sich immer noch drei Offiziersgesellschaften. Den Bogen spannt Martin Thelen, dessen Urgroßvater Nebenrollen am Burgtheater spielte und dessen Vorfahren Offiziere unter Fürst Karl Schwarzenberg – dessen Denkmal so gut wie vor dem Haus steht - in der Schlacht gegen Napoleon waren.

Ein interessanter und unterhaltsamer Abend, für „Laien“ wie für „Insider“.

 

Nadja Wozonig, 21. Dezember 2004