Wie funktioniert das Europäische Parlament?
Wir Sind Europa führt im Rahmen der Initiative "Debate Europe" die Veranstaltungsserie "Was Sie schon immer
über das Europäische Parlament wissen wollten...." durch. 90 Personen folgten am 3. April 2009 der Einladung zur Veranstaltung mit Christa Prets.
Christa Prets ist Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung, Jugend, Medien und Sport und im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. Sie ist
stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für regionale Entwicklung. Außerdem ist sie Vizevorsitzende der Iran-Delegation und stellvertretendes Mitglied in der Delegation für die Beziehungen der EU
zu den Maschrik-Ländern (Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien).
Christa Prets begann ihre politische Karriere im Burgenland, wo sie 1991 erste direkt gewählte Bürgermeisterin der Gemeinde Pöttsching wurde. 1994 wechselte sie in die Burgenländische
Landesregierung. Seit 1999 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament.
Da sehr viele europäische Rechtsakte nach dem Mitentscheidungsverfahren erlassen werden, ist dieses für das Verständnis der Funktionsweise des Europäischen Parlaments (EP) sehr wichtig. Das EP
berät über den Gesetzesvorschlag der Kommission und gibt mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen eine Stellungnahme ab. Das Parlament kann damit den Vorschlag ohne Änderungen billigen oder
Änderungsvorschläge machen. Darauf folgt die erste Lesung des Ministerrats. Dieser kann per Beschluss mit qualifizierter Mehrheit entweder den vom Parlament nicht geänderten Vorschlag direkt
billigen oder die Änderungsvorschlage des Parlaments annehmen – der Rechtsakt ist damit angenommen.
Wenn die Meinungen von Rat und EP divergieren, kommt es zur zweiten Lesung, in der das Parlament drei Möglichkeiten hat
1. Ablehnung (mit absoluter Mehrheit der Mitglieder): Der Rechtsakt ist gescheitert. Die Kommission kann jedoch einen grundlegend überarbeiteten Vorschlag vorlegen.
2. Annahme oder kein Beschluss: Der Rechtsakt ist erlassen und tritt mit seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.
3. Änderungsvorschläge (mit absoluter Mehrheit der Mitglieder): Das Parlament kann hierbei nicht übernommene Änderungen aus der ersten Lesung wieder vorschlagen und die vom Rat vorgenommenen
Änderungen ebenfalls abändern. Der Rat muss dann innerhalb von drei Monaten in einer zweiten Lesung darauf reagieren und kann den vom Parlament geänderten Text entweder billigen (der Rechtsakt
wäre dann erlassen) oder ablehnen – dann wird ein Vermittlungsausschuss einberufen.
Dieser ist paritätisch aus Vertretern von Ministerrat und Parlament zusammengesetzt. Die Kommission nimmt ebenfalls beobachtend teil (Trilog). Innerhalb von sechs Wochen muss eine Entscheidung
gefunden werden. Kommt es zu keiner Einigung, ist der Rechtsakt gescheitert. Wird eine Einigung erzielt, folgt binnen sechs Wochen die dritte Lesung.
Frau Prets erklärte, dass in letzter Zeit sehr oft Einigungen in erster Lesung angestrebt werden. Dies erhöhe zwar die Geschwindigkeit, nimmt dem EP aber Einflussmöglichkeiten. Frau Prets betonte
ferner, dass die oft zu lesende Vereinfachung „Brüssel hat beschlossen“ so nicht stimme, da sowohl die RegierungsvertreterInnen als auch die ParlamentarierInnen der Mitgliedsstaaten an den
Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Sie wandte sich auch gegen oberflächliche „Zeugnisverteilungen“ an Abgeordnete, Anwesenheit allein sei kein Kriterium für Aktivität. Zudem gibt es im EP für
jede Fraktion Möglichkeit, namentliche Abstimmungen zu verlangen, an Hand derer die BürgerInnen verfolgen können, wie ihre Abgeordneten in Einzelfällen reagiert haben.
Die Publikumsfragen waren äußerst vielfältig. Man war sich einig, dass die mediale Berichterstattung das EP vernachlässigt und forderte von den Abgeordneten mehr Einsatz. Frau Prets erwiderte,
dass bei je einer Fraktions-, Ausschuss- und Plenarwoche pro Monat die Zeitressourcen begrenzt sind. Sie erläuterte ferner die Unterstützung durch MitarbeiterInnen. Auf das fehlende
Initiativrecht des EP angesprochen, meinte Frau Prets, dass dieses nach wie vor bei der Europäischen Kommission liege, dass aber der Vertrag von Lissabon das EP wesentlich stärken würde.
Nach ihren persönlichsten Momenten im EP befragt, antwortete Frau Prets, dass dies in sachpolitischer Hinsicht der Aktionsplan gegen Frauen- und Kinderhandel gewesen sei, auf persönlicher Ebene
die Verleihung des Sacharow-Preises an Nurit Peled-Elhanan und Izzat Ghazzawi, eine israelische Literaturwissenschaftlerin und einen palästinensischen Schriftsteller, die sich für den
Nahost-Frieden einsetzen, nachdem beide Kinder in diesem Konflikt verloren hatten.
Margareta Stubenrauch, 6. April 2009