Exitstrategien für eine schwierige Nachbarschaft

Am 5.12.2001 veranstaltete Wir Sind Europa in Zusammenarbeit mit der Botschaft der Tschechischen Republik ein Podiumsgespräch zum Thema "Exitstrategien für eine schwierige Nachbarschaft – Neue Wege im österreichisch-tschechischen Verhältnis". Unter der Leitung von Margareta Stubenrauch diskutierten vor etwa 80 ZuhörerInnen

Zdenka Becker, Schriftstellerin
Gesandter Dr. Emil Brix, Stellvertretender Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa
Barbara Coudenhove-Kalergi, Journalistin
Jiří Gruša, Botschafter der Tschechischen Republik und
Alfred Payrleitner, freier Publizist.

Über die derzeitige Qualität der österreichisch-tschechischen Beziehungen herrschte Uneinigkeit. Die Einschätzungen reichten von "in der Monarchie waren sie nie so gut wie jetzt" (Brix) bis zu "miserabel" (Coudenhove-Kalergi).

"Man spricht immer von einer gemeinsamen Geschichte Österreichs und Tschechiens – aber die beiden Länder verbinden völlig Unterschiedliches damit", so Coudenhove-Kalergi. Die DiskutantInnen waren sich weitgehend einig darüber, dass in dieser unterschiedlichen Wahrnehmung und Weitergabe der Geschichte die Ursache für die angespannten Beziehungen liegt. Darüber hinaus gehen die Arbeiten der Anfang der 90er Jahre eingerichteten österreichisch-tschechischen Historikerkommission nur sehr schleppend voran ("Die sind gerade beim 30jährigen Krieg", konstatierte Alfred Payrleitner). Botschafter Gruša warnte eindringlich vor der Instrumentalisierung der Geschichte für tagespolitische Zwecke.

Zdenka Becker (Slowakin mit tschechischer Nationalität und österreichischem Pass) bereicherte das Gespräch durch eine sehr emotionale Schilderung ihrer persönlichen Vergangenheitsbewältigung ("Ich war überhaupt nicht an Geschichte interessiert – aber sie hat mich eingeholt") und kam zum Schluß, dass es Verständnis immer nur zwischen Menschen als Individuen geben kann.

Die vorgeschlagenen Wege zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen waren wenig originell: SchülerInnenaustausch, mehr wechselseitigen Sprachunterricht und gemeinsame Projekte, insbesondere in der Grenzregion. Lediglich Alfred Payrleitner erwartete sich mehr von "Baumax und Billa", also einer Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen, um das österreichisch-tschechische Verhältnis auf eine rationalere Ebene zu bringen.

 

Es bedarf einer gemeinsamen und neuen Interpretation der Vergangenheit, um Verzögerungen des tschechischen EU-Beitritts zu verhindern und um nach einem erfolgten EU-Beitritt Tschechiens die gemeinsame Mitgliedschaft nicht unter einer vergifteten Atmosphäre leiden zu lassen. Wir Sind Europa wendet sich daher gegen die aus dem Publikum erhobene Forderung nach einem Schlussstrich und bekennt sich zu einer objektiven Aufarbeitung der Geschichte, um den Blick in eine gemeinsame Zukunft in Europa zu ermöglichen.

Margareta Stubenrauch und Nadja Wozonig, 9. Dezember 2001