Wider das Feindbild "Brüssel" DER STANDARD, 9. Mai 2000, Seite 36

Via Internet hat sich aus gegebenem Anlass ein Personenkomitee zusammengefunden, dessen Botschaft zum Tage wir im Wortlaut dokumentieren.

Die EU ist derzeit in Österreich wenig populär. Umfragen bestätigen eine wachsende anti-europäische Haltung in breiten Teilen der Bevölkerung. Das ist nicht nur eine Reaktion auf die so genannten EU-Sanktionen gegen Österreich, die in Wirklichkeit Maßnahmen der Regierungen der 14 Partnerländer gegen die österreichische Bundesregierung sind. Die EU-Skepsis der Österreicher/ innen geht tiefer, denn nicht nur diese Regierung, sondern auch ihre Vorgängerinnen haben dazu beigetragen, die EU, oftmals reduziert auf das anonyme Brüssel, als Sündenbock für innenpolitische Probleme darzustellen und politische Erfolge als eigene Erfindungen zu verkaufen.

In dieser Denkweise ist "Brüssel" daran schuld, dass die österreichischen Staatsfinanzen saniert werden müssen, während die Liberalisierung der Energiemärkte und die damit verbundenen Preissenkungen das Verdienst österreichischer Landeshauptmänner sind. Wahr hingegen ist, dass österreichische Politiker/innen gemeinsam mit ihren Partnern/innen aus den anderen 14 Mitgliedsstaaten für beide Sachverhalte verantwortlich sind.

In den fünf Jahren der österreichischen EU-Mitgliedschaft und auch davor wurde es verabsäumt, der österreichischen Bevölkerung die Funktionsweise der Union und die österreichischen Möglichkeiten zur Gestaltung der gemeinschaftlichen Politik zu erklären. Erst wenn österreichische Abgeordnete im Europa-Parlament europäische Politik zum Wohle aller Mitgliedsstaaten machen, statt nationale Interessen zu vertreten, erst wenn österreichische Minister/innen sich bei schwierigen Themen nicht mehr hinter "Brüssel" verstecken und europäische Erfolge auch als solche präsentieren, wird echte pro-europäische Gesinnung auch in der österreichischen Bevölkerung einen Nährboden finden.


Friedensprojekt

Auch der grundlegende Gedanke zur Gründung der Europäischen Union (und ihr größter Erfolg) darf nicht zur Selbstverständlichkeit werden. Die EU ist mehr als ein Wirtschaftsraum ohne Grenzen. Ihre 15 Mitgliedsstaaten haben seit 50 Jahren keinen Krieg gegeneinander geführt.

Die schreckliche Erfahrung zweier Weltkriege veranlasste den französischen Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 zu folgender Erklärung, die als Geburtsstunde der EU gilt: Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle-Produktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offen steht. Durch (. . .) die Errichtung einer neuen Hohen Behörde, deren Entscheidungen (. . .) für alle teilnehmenden Länder bindend sein werden, wird dieser Vorschlag den ersten Grundstein einer europäischen Föderation bilden, die zur Bewahrung des Friedens unerlässlich ist.

Vieles von dem, was Schuman wollte, ist auch heute noch nicht verwirklicht. Die inneren Strukturen der Union sind vielfach undurchsichtig, ihr Auftreten nach außen ist oftmals widersprüchlich, und manche ihrer Politiken, wie die gemeinsame Agrarpolitik, sind dem 21. Jahrhundert nicht mehr angemessen.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten bleibt die Tatsache bestehen, dass es auf diesem Kontinent noch keine so lang andauernde Periode des Friedens und Wohlstandes für so große Teile der Bevölkerung gegeben hat. Angesichts dieses Erfolges, aber auch eingedenk noch bestehender Herausforderungen ist die Weiterführung des Einigungsprozesses eine lohnende Aufgabe, nicht nur für die Politiker/innen dieses Landes, sondern für alle Österreicher/innen.

Für das Komitee Wir sind Europa: Margareta Stubenrauch, Christian Köck, Maria Schaffenrath und weitere rund 20 Unterzeichner/innen


© DER STANDARD, 9. Mai 2000
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