Die Macht der Mächtigen oder die Macht der Machtlosen?

Jiří Gruša und Václav Havel, Wieser Verlag,  2006
81 Seiten, ISBN 3 851129601 X

 

Die Freunde und Weggefährten Jiří Gruša und Václav Havel haben 2005 in der Diplomatischen Akademie Wien an einer Konferenz über die Rolle der Nationalliteraten bei der Entstehung mitteleuropäischer Nationalismen teilgenommen. Das Buch stellt ein Protokoll der Diskussion zwischen Gruša und Havel dar, welche sich auf den Text von Havel „Die Macht der Machtlosen“ aus dem Jahre 1978 (in deutsch erschienen als „Versuch in Wahrheit zu leben. Von der Macht der Ohnmächtigen“) bezieht.

 

Havel schreibt 1978 unter anderem bei der Suche nach der Perspektive der existentiellen Revolution und der Rekonstitution der Gesellschaft, dass es um ein gefundene innere Beziehung zu den Mitmenschen und zur menschlichen Gemeinschaft geht, um eine höhere Verantwortung. Es gehe dabei weniger um die technische Seite der Machtausübung, sondern um den Sinn ihrer Ausübung, um Strukturen, die mehr durch das gemeinsame Gefühl und ihren Sinn geprägt sind. Dabei sollte eine Kumulation von Machtfremd sein, es sollten keinesfalls Strukturen sein, welche ihre Autorität auf entleerte Traditionen (wie die traditionellen politischen Massenparteien) stützen, sondern auf eine konkrete AufgabeBesser als ein statischer Komplex formalisierter Organisationen sind solche, die ad hoc entstehen (voller Begeisterung für ein Ziel) und sich nach der Erreichung des Ziels wieder auflösen.

 

Auch die Führung solle von ihrer Integrität und Erfahrung leben und nicht aus einer Rangordnung heraus. Durch solche Organisationen soll einer kollektiven Unverantwortlichkeit und schleichender Totalisierung entgegen gewirkt werden, als Perspektive eines „postdemokratischen Systems". In der Diskussion mit Gruša erklärt Havel, dass er zum einen von seinem Text aus 1978 in gewissem Sinne immer noch überzeugt ist, er zum anderen auch einräumt, dass er damals nicht die geringste Erfahrung mit der politischen Praxis geschweige denn mit dem Leben in einer entstehenden postkommunistischen Demokratie hatteInteressant findet er im aktuellen Kontext die Spannung zwischen dem menschlichen Inhalt der Demokratie und ihrer Form. Er fragt, ob diese zum Teil nicht weniger ein allgemeines Interesse darstelle denn eher eine Art Spiegel der Interessen der Mächtigen.

 

Das kleine Buch bzw. die Diskussion stellt einen interessanten Bezug zwischen der Zeit des Kommunismus in Tschechien und der aktuellen politischen Situation dar bzw. wie sich das Wirken Havels als Kulturschaffender und Schriftsteller auf seine politische Aktivitäten auswirkten. Sehr interessant erscheint mir in der Schlussphase der Satz von Havel, dass er glaube, dass „das heutige Europa vor der Aufgabe stehe, sich zu entscheiden. Entweder es wird sich in alle Ewigkeit anpassen und durchlavieren, und wer weiß, welches Ende Europa dann nimmt, oder es wird eine grundsätzliche Entscheidung treffen“.

 

Hannes Heissl, 18. August 2013