Acht Monate Bukarest

Liebe Freunde!

Es ist wieder mal Zeit, etwas zu schreiben.

Vor fast acht Monaten bin ich nach Bukarest übersiedelt. Es ist Samstag nachmittag und ich sitze in meiner Wohnung im Zentrum von Bukarest, im sechsten Stock. Das Fenster bietet eine Aussicht auf eine Ansammlung von Wohnblocks aus den 1960ern. Wenn sie nicht so herunter gekommen wären, wäre die Architektur gar nicht mal so schlecht.

Wenn ich ab und zu Spaziergänge durch die Altstadt unternehme, oder das was Ceausescu davon übrig gelassen hat, entdecke ich immer wieder schöne alte Häuser aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder davor. Leider sind die meisten davon in einem bedauernswerten Zustand. Nur ein Eimer Farbe wird da oft nicht reichen.

Die Einheimischen sagen mir, das dieser Winter einer der schlimmsten seit Langem ist. Fast keine Sonne, ab und zu wird es richtig kalt, und das bisschen Schnee, das fällt, wird ziemlich schnell zu einem dreckigen Gatsch. Ansonsten bleiben kleine graue Schneehaufen oft Wochen lang auf dem Trottoir liegen. Ab und zu gehe ich die fünfzehn Minuten zu Fuß zur Arbeit, wenn es sein muss mit meinen alten Armeestiefeln durch den ganzen Dreck. Damit handle ich mir dann zwar Kommentare meiner Kollegen ein, aber ich hab irgendwie noch nicht herausgefunden, wie es die Rumänen schaffen, unter diesen Bedingungen immer eins A angezogen zu sein. Das Frostwetter hat die Straßen in Schlaglochpisten verwandelt, der schlechte und billige Asfalt bricht überall zu Bombenkratern auf. Ich bin froh, dass mein blauer Fiat Punto Diesel, mein Dienstwagen, neu ist – und vor allem ein Leasingauto.

Im Sommer war ich froh über die Klimaanlage in meiner Wohnung, wegen der schwülen Hitze in der brettlebenen Walachei. Jetzt bin ich froh über die Zentralheizung, die sich nicht anders regeln lässt als dass man das Fenster öffnet. Meist ist es bacherlwarm in der Wohnung. Die Sozialisten waren irgendwie der Meinung, dass jeder die selbe Wärme braucht, und was soll man dann einen Gedanken an Thermostate oder individuelle Ventile verwenden. Über die undichten Wasserleitungen schreibe ich jetzt lieber nicht...

Im Sommer bin ich jedes Wochenende vor der Hitze der Stadt ans Meer oder in die Berge geflüchtet. Das Schwarze Meer ist drei Stunden Fahrt von hier, die Karpaten ungefähr zwei. Aber das Land ist natürlich groß, und man kann gut und gerne auch mehr Zeit auf Straße oder Schiene zubringen. Um Freunde in Nordsiebenbürgen zu besuchen hab ich zum Beispiel einen Nachtzug genommen. Jetzt im Winter war ich die Hälfte der Wochenenden Schi fahren, meistens mit Freunden und/oder Kollegen. Die Pisten sind ganz OK, und der Schnee war recht gut diesen Winter. Leider gibt es zu wenig Lifte und Gondeln für all die Massen, die an den Wochenenden die Schiorte belagern. Schlangen und Wartezeiten sind unvermeidlich, wenn man nicht früh aufsteht. Die Rumänen nehmen es hin, wie es kommt, und vertrieben sich die Wartezeit mit Raunzen, dem Nationalsport, der aber meist auch mit einem Augenzwinkern betrieben wird. Wenigstens habe ich in den Bergen ab und zu die Sonne gesehen. Schi fahren ist halt gut für die Seele! In Bukarest hatte ich diesen Winter den Eindruck, dass die Sonne eigentlich gar nicht da war. Schlimmer als in Wien, und diese Stadt hier ist so grau.

In Bukarest gibt es natürlich auch gute Restaurants, Bars, Geschäfte, Kinos und so weiter, aber für eine Stadt mit zwei Millionen Einwohnern ist die Auswahl etwas mager. Dafür werden alle Filme im Original mit Untertitel gezeigt. Ich muss aufpassen, nicht zu viel zu arbeiten und auszugehen. Und etwas Sport zu treiben. Zum Glück ist drei Minuten von meiner Wohnung der Cismigiu-Park, wo ich laufen gehen kann. Da fühle ich mich auch irgendwie wie im Kino: ich schaue die Leute an, und sie schauen mich an. So hat jeder seine Attraktion.

Es ist schön, sich wieder mit einigen alten Freunden zu treffen, die ich noch aus meiner aktiven Zeit bei der Studentenorganisation AEGEE kenne. Ich habe auch neue Leute kennen gelernt, durch meine neuen Arbeitskollegen. Die meisten meiner neuen Kollegen bei der rumänischen Niederlassung meiner Firma sind nett und hilfsbereit. Mit einigen war ich auch am Wochenende am Meer oder in den Bergen. Natürlich hilft es mit den Kontakten, wenn man die Landessprache spricht. In den letzten acht Monaten konnte ich auch mein rumänisches Vokabular recht fein erweitern.

Alle drei bis vier Wochen fliege ich nach Wien für ein langes Wochenende, oder meine Lebensgefährtin Erika kommt nach Bukarest. Wir waren es ja schon gewöhnt, uns nur in solchen Abständen zu sehen, aber nachdem wir ein Jahr in der selben Wohnung gemeinsam gelebt haben, merken wir schon, dass uns das abgeht. Aber wir schaffen das schon, versuchen die Abstände auf drei Wochen zu verkürzen, oder indem wir uns länger als nur ein Wochenende sehen. Im Feber haben wir uns in Bonn getroffen, um Erikas Geburtstag zu feiern, zusammen mit ihren Eltern und Ihrer Zwillingsschwester aus London. Im Oktober waren wir zehn Tage auf dem Balkan unterwegs, mit dem Auto in Bulgarien, Türkei und Griechenland. Das war echt eine super Reise, und wir haben das Auto voll mit Souvenirs gepackt (für die Bukarester Wohnung), viele Fotos gemacht, und natürlich Erinnerungen eingesammelt.

Der Grund, warum ich hier in Bukarest bin, ist mein Job als Leiter Controlling bei der rumänischen Niederlassung meiner Firma. Dieses Monat soll ich zusätzlich die Leitung der Internen Revision übernehmen. Ende Feber ist die Generaldirektion meiner Firma mit ihren 100 Leuten in ein neues Gebäude übersiedelt. Im Moment läuft alles noch etwas chaotischer als sonst. Im Sommer und Herbst habe ich mit einigem Aufwand eine halbwegs vernünftige Planung mit Einführung von Kostenstellen durchgezogen. Im Spätherbst haben wir unser neues Berichtswesen definiert. Jetzt, wo wir es implementieren, kann ich schon die ersten Früchte der Planung vom Sommer erkennen. In den nächsten Wochen werden wir unsere neue Buchhaltungssoftware SAP aufdrehen, und damit auch die Kostenstellen endlich effektiv starten. Meine beiden Kolleginnen im Controlling sind sehr gescheit und setzen sich ein, das ist eine große Hilfe. Eine der beiden Mädels wird im Frühjahr 2004 meinen Job übernehmen, hoffentlich. Die ganzen Veränderungen, die ich einführen soll, sind naturgemäß nicht nur willkommen. Neben den Konzepten für neue Prozesse darf ich deswegen auch eine Menge Überzeugungsarbeit leisten.

Damit es noch lustiger wird, hat unsere Konzernzentrale in Italien im Feber ein dreiköpfiges Team der Internen Revision zu uns geschickt. Die sind dann vier Wochen geblieben. Das hat zwar mein Italienisch recht gut aufgebessert, aber die Kollegen haben auch eine Latte von Sachen gefunden, die verbessert werden müssen. Natürlich haben meine Chefs in Wien mir den Auftrag gegeben, dafür zu sorgen, dass das auch umgesetzt wird. Ich hatte schon Angst bekommen, dass mir fad wird...

Reisen? Nach meiner supertollen Reise ins südliche Afrika letzten Mai, und den zehn Tagen am Balkan mit Erika, war ich Ende Dezember eine Woche in Québec. Maude, eine gute Freundin, die ich dort besucht habe, hatte mir zwar versprochen, dass "ich lernen würde, war es bedeutet, Schnee satt zu haben", aber das war dann wohl doch etwas übertrieben. Kalt war es zwar, und es gab auch genug Schnee für einen Schitag in Mont Sutton (mit Freunden aus Rumänien), aber der Schnee war sicher nicht meterhoch. Maude und ich haben uns die majestätische Landschaft des St. Lorenz Stroms und des Charlevoix, die Altstadt von Québec und Montréal angeschaut. Eine Woche ist so kurz...

Für das Frühjahr planen Erika und ich wieder eine Reise ins südliche Afrika, diesmal aber gemeinsam. Daumen drücken dass mein Chef mir drei Wochen Urlaub genehmigt!

Alles Gute und Liebe Grüße,

Markus, 5. April 2003