Das bulgarische Alphabet

Mit dem in wenigen Jahren erfolgenden Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union wird die Kultur der EU durch ein weiteres Alphabet bereichert – das kyrillische Alphabet.
Dieses wurde nicht, wie oft angenommen, in Russland erfunden, sondern in Bulgarien. Damit wurden systematisch slawische Texte aufgezeichnet und andere Texte ins Bulgarische übersetzt. Von Bulgarien aus verbreiteten sie sich dann weiter nach Serbien, Russland und sogar bis Mitteleuropa. Daher wird Bulgarien oft als die Wiege der slawisch-orthodoxen Kultur bezeichnet. Das Bulgarische gehört zum südslawischen Zweig der indogermanischen Sprachfamilie.

Kyrillisch ist das Normalphabet für die ost- und südslawischen Sprachen Bulgarisch, Mazedonisch, Russisch, Serbisch, Ukrainisch und Weißrussisch, sowie für zahlreiche weitere Sprachen in osteuropäischen und zentralasiatischen Staaten. Verwendet wird das kyrillische Alphabet für folgende Landessprachen: Bulgarien, Kasachstan, Kirgistan, Mazedonien, Russland, Serbien und Montenegro, Tadschikistan, Tschetschenien, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Das kyrillische Alphabet hat 30 Buchstaben und unterscheidet sich vielfach vom lateinischen. Für die einzelnen slawischen Sprachen ist das Kyrillische im Wesentlichen gleich. Sie unterscheiden sich nur durch einige wenige Zeichen, ähnlich wie auch in der lateinischen Schrift manche Sprachen Sonderzeichen eingeführt haben, z.B. Umlaute

Die Bulgaren sind bis heute stolz auf Kyrill und Method, zwei 826/827 bzw. 820 in Saloniki (dem heutigen Thessaloniki) geborene Brüder, die als „Erfinder“ der kyrillischen Schrift (Kyrillica) gelten. Ein Mythos muss aber gleich ausgeräumt werden: Auch wenn sie nach Kyrill benannt wurde - erfunden haben die „Slawenapostel“ Kyrill und Method die kyrillische Schrift nicht.

Dafür schuf der in Konstantinopel lebende Philosoph Kyrill (der mit weltlichem Namen Konstantin hieß, erst kurz vor seinem Tod 869 legte er sich in einem griechischen Kloster in Rom den Namen Kyrill zu) mit seinem Bruder Method um ca. 862 die glagolitische Schrift (Glagolica, abgeleitet vom slawischen Wort). Die Buchstaben weisen Einflüsse etwa der griechischen, hebräischen und orientalischen Alphabete auf, sind ansonsten aber frei erdacht. Zum ersten Mal gab es dadurch eine Schrift, die der slawischen Phonetik bzw. spezifisch slawischen Lauten angepasst war. Diese Schrift wurde eine der Grundlagen des slawischen Schrifttums. Somit gilt Konstantin als Begründer der slawischen Schriftsprache und Literatur.

Den Auftrag, so eine Schrift zu entwickeln, erteilte der großmährische Fürst Rastislav, der den byzantinischen Kaiser Michael III. um die Entsendung von Missionaren bat, um die Mährer in ihrer eigenen Sprache im orthodoxen Glauben zu unterrichten und damit den katholischen, „lateinischen“ Einfluss zurückzudrängen. Diese Aufgabe wurde den diplomatisch, theologisch, juristisch und linguistisch erfahrenen Brüdern Kyrill (Konstantin) und Method übertragen. Die von ihnen geschaffene glagolitische Schrift diente also liturgischen Zwecken.

Diese Glagolica, die erste Schrift der Slawen, die scheinbar als Nebenprodukt der missionarischen Tätigkeit entstand, wurde zunächst in Großmähren verwendet und breitete sich von dort aus nach Böhmen, Mazedonien, Bulgarien und Kroatien aus. Nach Methods Tod 885 wurden seine Schüler aus Mähren vertrieben. Sie fanden Aufnahme in Bulgarien, das 864 das östliche Christentum angenommen hatte. Von dort breitete sich ihr Werk bis in die Kiever Rus aus. Die Glagolica setzte sich jedoch letztendlich nicht durch, sondern die Kyrillica oder kyrillische Schrift.

Diese wurde um 900 am Hof des bulgarischen Zaren Simeon des Großen durch Kliment von Ochrid, einen Schüler Kyrills, entwickelt, aber nach dem griechischen Mönch Kyrill benannt. Die meisten Buchstaben wurden aus der griechischen Schrift übernommen oder abgeleitet. Für speziell slawische Laute, die im Griechischen nicht vorkamen, wurden Zeichen aus der glagolitischen Schrift verwendet. Die ältesten erhaltenen Abschriften aus dem 10./11. Jahrhundert weisen bereits unterschiedliche lokale Einflüsse auf.

1700 wurde Kyrillisch im Zuge der Reformen Peters des Großen vereinfacht und an die lateinische Schrift angepasst. Seine heutige Form erlangte die bulgarische Kyrillica nach den Reformen von 1921 und 1945. Zu dieser Zeit wurde die Kyrillica auch in etlichen nichtslawischen Ländern der Sowjetunion eingeführt.

Nadja Wozonig, 21. Februar 2004