Die Lissabon-Strategie - Was ist das?

Im März 2000 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (Europäischer Rat) das neue strategische Ziel, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“

Unter dem Eindruck des Internet-Hype wurde die Informationsgesellschaft für alle gefordert. Dies beinhaltete u.a. Aufträge an die Mitgliedsstaaten, bis 2001 das Internet in allen Schulen zu haben, die grundlegenden öffentlichen Dienste bis 2003 mit elektronischem Zugang zu versehen und den elektronischen Geschäftsverkehr zu stärken.

Der Europäische Raum der Forschung und Innovation war ein weiteres Ziel der Lissabon-Strategie. Dabei sollten die europäische Forschung besser vernetzt, mehr Anreize für private Forschungsinitiativen geschaffen und der rechtliche Rahmen für ein Gemeinschaftspatent erstellt werden.

Die Schaffung eines günstigen Umfeldes für die Gründung innovativer Unternehmen, insbesondere KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) blieb in ihren Begleitmaßnahmen recht unkonkret. Im Gegensatz dazu waren die Ansätze für Wirtschaftsreformen für einen vollendeten und einwandfrei funktionierenden Binnenmarkt sehr spezifisch: Liberalisierung in Bereichen wie Gas, Strom, Postdienste und Beförderung, Vereinfachung des ordnungspolitischen Regelwerkes und Verringerung staatlicher Beihilfen.

Unter dem Ziel effiziente und integrierte Finanzmärkte beschloss man Maßnahmen zur Erhöhung des Investitions- und Risikokapitals. Gleichzeitig bleibt die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eine Priorität. Die öffentlichen Finanzen sind nachhaltig zu gestalten, um Auswirkungen der Alterung der Bevölkerung kompensieren zu können.

Im Zuge des Zieles Bildung und Ausbildung für das Leben und Arbeiten in der Wissensgesellschaft wurde festgeschrieben, die Humankapitalinvestitionen pro Kopf jährlich zu erhöhen, ohne Zahlen zu nennen. SchülerInnen und StudentInnen sollten vermehrt an Austauschprogrammen teilnehmen.

Als integraler Bestandteil der Entwicklung einer aktiven Beschäftigungspolitik soll lebenslanges Lernen gefördert werden. In diesem Bereich wurde als einzigem ein quantitatives Ziel vereinbart: die Erhöhung der Beschäftigungsquote von 61% im Jahr 2000 auf 70% im Jahr 2010.

Zur Modernisierung des sozialen Schutzes wurde ein Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten festgeschrieben, ebenso für die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, sprich Armut.

Im Gegensatz zur Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion wurde in der Lissabon-Strategie auf eine einheitliche gemeinschaftliche europäische Politikgestaltung verzichtet. Nur in jenen Bereichen, in denen die Union durch bestehende Verträge bereits Kompetenzen hatte, konnten gemeinschaftliche Regelungen erlassen werden. Neue Kompetenzen wurden nicht auf die Union übertragen. Im Sozial- und Bildungsbereich, der sehr stark den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen ist, beließ man es bei Programmen und Erfahrungsaustausch, auch Methode der offenen Koordinierung genannt, als Instrumentarien zur Umsetzung der Lissabon-Strategie.

Die Methode der offenen Koordinierung führte zu unzähligen Einzelberichten und Studien. Um diese vergleichbar zu machen, wurde eine Reihe von Indikatoren entwickelt. Leider vereinfachen diese auch die politische Debatte, denn die mediale Berichterstattung konzentriert sich anlässlich der Tagungen der Europäischen Rates im Frühling, bei denen traditionell die Lissabon-Strategie breiten Raum einnimmt, nur mehr auf den Platz des eigenen Landes im Ranking, wie bei einem Sportwettbewerb, und verliert die ursprünglichen Absichten komplett aus den Augen.

Im Frühling 2005 wird es einen Midterm Review der Lissabon-Strategie geben. Derzeit ist bereits absehbar, dass das hochgesteckte, quantitative Beschäftigungsziel bis 2010 nicht erreicht werden kann. Dies resultiert aus der grundsätzlichen Ungleichgewichtung der wirtschaftlichen und sozialen (einschließlich Bildung) Belange in den europäischen Verträgen. Für erstere gibt es einen verbindlichen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen. Die Lissabon-Strategie und der wenig später einsetzende Prozess der Erarbeitung einer europäischen Verfassung, haben es verabsäumt, die Sozial- und Bildungspolitik ebenfalls zu vergemeinschaften. Sie verbleiben auf dem Niveau von Berichten und Benchmarking. Somit leidet die Lissabon-Strategie, deren gesamte wachstums-positivistische Orientierung man natürlich auch hinterfragen kann, einen großen Mangel: Zu wenig Europa.

Margareta Stubenrauch, 21.1.2005