Anlässlich der in den letzten Wochen in der österreichischen Öffentlichkeit geführten Diskussion über die Aufstellung zusätzlicher
zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten sieht sich der Österreichische Verband für Angewandte Linguistik / verbal (Österreichische Sektion des weltweiten Verbandes Association de Linguistique
Appliquée / AILA), dem es immer ein Anliegen war, Mehrsprachigkeit zu fördern, veranlasst, zu dieser Diskussion Stellung zu nehmen:
verbal begrüßt prinzipiell das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs, das lediglich die im Staatsvertrag von 1955 den Volksgruppen zugesicherten und jahrzehntelang nur mangelhaft umgesetzten
Rechte bestätigt und damit einen in vielen Regionen Europas üblichen Normalzustand herstellt. Der Vorschlag eines Volksgruppenanteils von etwa 10% statt der im Volksgruppengesetz 1976
vorgesehenen 25% stellt eine akzeptable Regelung dar, wenn auch im internationalen Vergleich durchaus auch minderheitenfreundlichere Regelungen vorzufinden sind, so z.B. in Irland, Wales,
Südtirol, Finnland, Deutschland, Spanien, Frankreich (Korsika). In drei Hauptstädten in der EU (Brüssel, Helsinki, Dublin) gibt es ebenfalls durchgängig zweisprachige Aufschriften.
Mit Befremden stellen wir allerdings fest, dass ausgerechnet am Ende des Europäischen Jahres der Sprachen 2001, dessen Ziel die Förderung von Mehrsprachigkeit in den europäischen Ländern war, der
slowenischen Minderheit vom Kärntner Landeshauptmann das elementare Recht auf angemessene symbolische Präsenz ihrer Sprache in der Öffentlichkeit abgesprochen und dabei sogar mit der Abschaffung
des zweisprachigen Schulwesens gedroht wird (vgl. Kleine Zeitung 15.12. 2001).
Der Anteil der im gemischtsprachigen Gebiet zum zweisprachigen Unterricht angemeldeten Schüler hat von 16 Prozent in den sechziger Jahren auf zuletzt 32 Prozent zugenommen. Das bedeutet, dass das
Erlernen der slowenischen Sprache zusätzlich zur deutschen nicht nur mehr ausschließlich als Bekenntnis zur Volksgruppe, sondern angesichts der bevorstehenden EU-Erweiterung zunehmend als
Bildungschance gewertet und auch von deutschsprachigen Kindern und Eltern wahrgenommen wird.
Die angedrohten Maßnahmen wie die Durchführung einer Volksbefragung über die Aufstellung weiterer zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten oder die Abhaltung einer sogenannten "geheimen
Minderheitenfeststellung", in der Mehrfachnennungen der Umgangssprache nicht vorgesehen wären, würden einen gravierenden Rückschlag für die Entwicklung eines friedlichen mehrsprachigen
Miteinanders in Kärnten bedeuten.
Dem gegenüber regen wir in Kärnten und vor allem in den betroffenen zweisprachigen Gemeinden eine Aufklärungskampagne über die Vorteile der Zweisprachigkeit an. Insbesondere sollten Beispiele
vorgestellt werden, wie Zweisprachigkeit auch als Marketingkonzept in Tourismus und Produktvermarktung erfolgreich eingesetzt werden kann, wie das z.B. in Graubünden, in Wales oder in der
Bretagne geschieht.
Abgesehen davon, dass mit einer forcierten Einsprachigkeitspolitik, wie sie der Kärntner Landeshauptmann offenbar verfolgt, auch wirtschaftlich nutzbare Ressourcen vernichtet und Bildungschancen
beschnitten werden, was gerade in dieser wirtschaftlich benachteiligten Region fatal wäre, widerspricht eine solche Politik auch wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach Mehrsprachigkeit im
weltweiten Vergleich häufiger als Einsprachigkeit ist und für die gesamte geistige Entwicklung vor allem junger Menschen eine unschätzbare Bereicherung darstellt.
Für den Vorstand von verbal:
Univ.Prof. Dr. Martin Stegu
Vorsitzender
Ao.Univ.Prof. Dr. Barbara Seidlhofer
Geschäftsführende Vorsitzende, 16. 1. 2002