Portugiesische Impressionen

Selbst eine leidenschaftliche Europäerin wie ich reist im Oktober lieber nach Lissabon als nach Brüssel zu einem Seminar. Die Ankunft entspricht den Erwartungen: Die Sonne scheint, es hat 22 Grad und auf dem Platz vor dem Flughafen stehen Palmen. Meine Begeisterung steigt, als der Busfahrer so gut Englisch kann, um mir nicht nur ein Ticket zu verkaufen, sondern sich die ganze Fahrt über mit mir unterhält. Und während meiner drei Tage Portugal bleibt er nicht der Einzige. Die Portugiesen scheinen gleichzeitig neugierig und mitteilsam. Was für ein Kontrast zu Spanien, wo alle nicht-Spanisch sprechenden Reisenden einige Geduld brauchen.

In meinem Hotel angelangt, scheint die Sonne noch immer, und so erkunde ich Cascais (sprich: Kaschkaisch), einen Ort an der Küste, der mit Estoril und der Hauptstadt Lissabon zu einem riesigen urbanen Komplex zu verschmelzen scheint. Überall wird wie verrückt gebaut, was mich zwei Tage später nicht mehr so wundert, nachdem ich den beklagenswerten Zustand vieler alter Häuser in Lissabon gesehen habe. Bei Sonnenschein mag darin noch Charme liegen, bei Regen schon deutlich weniger und von innen ist es wahrscheinlich einfach eine Katastrophe.

Ich spüre einen Hauch von England über Portugal, der sich nicht nur darin manifestiert, dass das zum exzellenten Fisch servierte Gemüse völlig geschmacksneutral ist, dass sich vorwiegend britische" middle-aged couples" in Cascais tummeln und dass der Sonnenschein am zweiten Tag in einen sanften warmen Regen übergeht. Im Seminar erzählt man uns von der "atlantischen" Orientierung der portugiesischen Außenpolitik, die die zwei Seefahrernationen Portugal und England verbindet. Als ich einer portugiesischen Kollegin meine Eindrücke schildere, schaut sie mich eher zweifelnd an, um mir wenig später zu erzählen, dass sie eine englische Mutter und einen portugiesischen Vater habe, deren Ehe noch in während der Diktatur in Portugal ihren Anfang nahm.

Portugal geografisch am Rand Europas, fühlt sich abseits und hat einen Minderwertigkeitskomplex, der sich besonders gegenüber dem übermächtigen Nachbarn im Westen äußert. Spanien ist noch immer das portugiesische Trauma, gleichzeitig aber das einzige Land mit dem Portugal eine Landgrenze verbindet. Und wenn auch keine Soldaten mehr aus dem Westen kommen, die wirtschaftliche Abhängigkeit ist geblieben, der kulturelle Druck auch und Portugal scheint in einem ständigen "Abwehrkampf". Der Vergleich mit Österreichs Verhältnis zu Deutschland drängt sich auf, aber er stimmt nicht, denn wir haben ja noch sieben andere Nachbarn, mit denen wir uns kulturell und wirtschaftlich austauschen können, wenn wir wollen.

Portugals ökonomische Entwicklung ist in den letzten Jahren stagnierend bis rückläufig, und nicht wenige werfen dies dem ehemaligen Ministerpräsidenten vor, der mittlwerweilen Präsident der Europäischen Kommission geworden ist. Seine Anhänger sind enttäuscht, dass er Portugal mitten in den Reformen verließ, seine Gegner halten ihn sowieso für einen Versager. Einig sind sich die Portugiesen in einer allgemeinen Politikverdrossenheit. Über Korruption wird offen gesprochen, wie überhaupt alle Vorträge (Außenpolitik, Regionalentwicklung, Agrarpolitik, europäische Verfassung, etc.) von einer erstaunlichen Freimütigkeit geprägt waren. Und erst die Bus- und Taxifahrer ("The Portuguese are stupid, they always vote for crooks") Wie passt das zusammen? Ich weiß es nicht. Mein Aufenthalt war wohl einfach zu kurz. Aber das ist nur einer der Gründe, schon bald wieder nach Portugal zu fahren.

Margareta Stubenrauch, 30. Oktober 2005