Wider die Vereinnahmung!

Als ich gestern erfuhr, dass der diesjährige Nobelpreis für Literatur Elfriede Jelinek zuerkannt wurde, war ich zunächst sprachlos. Nicht aus patriotischem Stolz über die „erste österreichische Literaturnobelpreisträgerin“ und auch nicht aus Erfurcht vor ihrem Werk, dass ich zugegebenermaßen nur äußerst fragmentarisch kenne. Deutschsprachige Gegenwartsliteratur steht schon seit langem nicht mehr auf meinen Leselisten, zu stark ist der Ruf der Geschichte und wenn es mich nach Literatur dürstet, ende ich meist in Mittel- und Osteuropa.

Sprachlos war ich, weil ich mir in meiner Fantasie auszumalen begann, wie das kulturelle und politische Establishment des Landes mit dieser Entscheidung umgehen würde. Es ist ja hinreichend bekannt, dass „die Jelinek“ keine Gelegenheit versäumte, Österreich den vielzitierten Spiegel besonders oft und deutlich vor die Nase zu halten, sodass sie übelsten Anfeindungen und persönlichen Kränkungen von (nahezu) allen Seiten ausgesetzt war.

Daher habe ich mir die heutigen Zeitungen besonders sorgfältig angesehen. Beginnen wir mit dem Kurier: Er titelt auf der ersten Seite „Literatur-Nobelpreis für Jelinek“ und widmet dem Ereignis drei Seiten. Herbert Hufnagl ist in seinem Kommentar „Die Unbequeme“ durchaus realistisch, wenn er schreibt:“ Elfriede Jelinek konnte sich der österreichischen Umarmungsgesellschaft immer gut entziehen, und daran wird sich garantiert nichts ändern“. Gleichzeitig veröffentlicht der Kurier eine Liste von Nobelpreisträgern (Berta von Suttner war also ein Mann) mit „österreichischen Wurzeln“ und teilt diese in Österreicher, solche mit Geburtsland Österreich, Österreich als Wirkungsstätte und solche mit dem Geburtsland Donaumonarchie ein.

Die Schlagzeile des Standard lautet „Nobelpreis für Elfriede Jelinek". Gerfried Sperl fordert in seinem Kommentar „Ein Preis der Widerständigen“, dass „Österreichs Politik sich mit (verlogenem) Lob zurückhalten sollte“. In der dreiseitigen Berichterstattung im Blattinneren kommt Elfriede Jelinek über Werkausschnitte selbst zu Wort. Natürlich gibt es auch ein Foto der Wahlplakate der FPÖ von 1995, auf denen die Autorin verunglimpft wurde und einen Seitenhieb auf die Berichterstattung in der Kronenzeitung. Waltraud Klasnic wird zitiert, sich darüber gefreut zu haben, dass „der Literatur-Nobelpreis erstmals an eine Steirerin gegangen sei“.

Die Salzburger Nachrichten titeln „Jelinek: Erster Nobelpreis für österreichische Literatur“. Auf Seite drei kann man einen Bericht, Reaktionen und den Kommentar „Unser aller Elfi Jelinek“ von Bernhard Flieher lesen, der deutlich die Scheinheiligkeit der „österreichischen Umarmungskünstler und Schönredner“ beschreibt.

Die Presse zitiert Jelinek in ihrer Titel-Schlagzeile wörtlich „Mehr Verzweiflung als Freude“ und wird im Untertitel „Die Jelinek wird nobelpreisgekrönt“ schon ein bisschen (zu) familiär. Norbert Mayer schreibt in seinem Leitartikel „Ein bedrohlicher Preis für eine gefährlich gute Frau“ von „einer raffinierten Wahl“, um wenig später Hölderlin ins Spiel zu bringen und den Nachsatz anzufügen „aber so „gut“ ist sie nun auch wieder nicht“. Und ebenso wenig wie der Kurier kann es sich die Presse verkneifen, auf zwei Seiten „die 20 österreichischen Nobelpreisträger im Überblick“ aufzulisten, wobei noch ergänzend angefügt wird „erst in der bitteren Emigration entfaltete sich so manches Talent“.

Die Wiener Ausgabe der Kronenzeitung titelt heute „Führerschein kann schnell weg sein“ und hat darunter eine kleine Notiz „Nobelpreis an Elfriede Jelinek“. Auf Seite 14 freut sich Marga Swoboda in der Kolumne „Tag für Tag“, Elfriede Jelinek im Kaffeehaus gesehen zu haben und schließt mit der Zeile „Ist das nicht einfach super?“

In der Neuen Zürcher Zeitung lautet die Nebenschlagzeile auf der Titelseite „Sprache, Ideologie, Kritik - Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek“. Die erste Seite des Feuilletons trägt den Titel „Die Kraftkammer des Abscheus“ und enthält die beste Beschreibung von Leben und Werk Elfriede Jelineks. Und selbstverständlich gibt es auch einen kurzen Originaltext zum Nachlesen, einen Ausschnitt aus Bambiland.

Von den Stellungnahmen des offiziellen Österreichs möge ein Beispiel genügen; jene des Staatssekretärs für Kunst und Medien Franz Morak, die ich gestern in der ARD gesehen habe: „Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek ist eine Anerkennung des Kreativ-Standortes Österreich.“

Sehr geehrte Frau Jelinek, ich werde auch in naher Zukunft nicht in die Buchhandlung rennen und mir eines ihrer Bücher kaufen. Ich bleibe gerne bei meinen alten Russen, aber bitte: Schreiben Sie ein Stück „Wider die Vereinnahmung!“ und fangen Sie am besten noch heute damit an.

 

Margareta Stubenrauch, 8. Oktober 2004