Willkommen, Ungarn!

Mit einer deutlichen Mehrheit von 83, 76 % hat Ungarn am 12. April 2003 über seinen EU-Beitritt abgestimmt. Das Ergebnis übertrifft deutlich alle Meinungsumfragen der jüngsten und fernen Vergangenheit. Ungarn hatte sich jahrelang durch eine konstant hohe Zustimmungsrate von fast 70% ausgezeichnet. In den letzten Monaten glaubten die Meinungsforscher einen Rückgang auf unter 60% identifiziert zu haben.

Ungarn stellte am 31. März 1994 und somit als erstes aller mittel- und osteuropäischen Länder seinen EU-Beitrittsantrag. Die Verhandlungen wurden 1998 aufgenommen und im Dezember 2002 beim EU-Gipfel in Kopenhagen abgeschlossen. Das Europäische Parlament hat die Beitrittsverträge bereits am 9. April 2003 ratifiziert. Ungarn erzielte dabei gemeinsam mit Lettland und Slowenien die höchste Anzahl an Zustimmungen. Als nächster Schritt steht die offizielle Unterzeichnung der Beitrittsverträge am 16. April 2003 beim EU-Gipfel in Athen an. Nach Ratifizierung durch die nationalen Parlamente der derzeitigen Mitgliedsstaaten wird Ungarn am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beitreten.

Die ungarische Wirtschaft ist bereits besonders stark mit der Europäischen Union verflochten. 2001 gingen 74,3 % der ungarischen Exporte in EU-Mitgliedstaaten. Ungarn liegt damit an der Spitze aller Beitrittsländer. Eine Spitzenleistung anderer Art konnte Ungarn im vergangenen Jahr verbuchen. Der Schriftsteller Imre Kertész erhielt 2002 als erster Ungar den Nobelpreis für Literatur für seinen mehr als lesenswerten Roman eines Schicksallosen.

Zur Geschichte Ungarns

Ungarn war schon in frühester Zeit ein Schnittpunkt der Kulturen. Skythen, Kelten, Thraker und Illyrer besiedelten das Land um Donau und Theiß. Als Provinz Pannonien Teil des römischen Reiches, fiel die Region im 5. Jhdt. an die Hunnen. Nach dem Tod Attilas übernahmen germanische Stämme die Herrschaft, die von den Awaren abgelöst wurden. Diese wiederum wurden von Karl dem Großen besiegt und Pannonien wurde ins Frankenreich eingegliedert. Das Jahr 896 gilt als der Eintritt der Magyaren (unter ihrem König Arpád) in die europäische Geschichte, wobei ihre Herkunft im Dunkeln bleibt. Nach den gängigsten Theorien stammen sie – als Teil der finno-ugrischen Volksgruppe – von der asiatischen Seite des Uralgebirges.

Ungarische Eroberungszüge nach Westeuropa wurden 955 von Kaiser Otto I beendet. Arpáds Nachfolger erkannten, dass ein akzeptierter Herrscher in Mitteleuropa auch aus Machterhaltungsgründen zum christlichen Glauben übertreten musste. Sein Enkel Stefan krönte sich 1000 zum christlichen König und etablierte Ungarn endgültig auf der europäischen Landkarte. Die folgenden zwei Jahrhunderte sahen einen Machtzuwachs des Adels auf Kosten des Königs (Goldene Bulle von 1222). Ungarn litt schwer unter den Tartarenangriffen im 13. Jhdt, sodass oft von einer "zweiten Gründung" gesprochen wird. Nach dem Aussterben der Arpáden wurde Ungarn von fremden Königshäusern regiert, zuerst von den französischen Anjous, dann vom Luxembourger Sigismund, der auch römisch-deutscher Kaiser war.

Seit der Mitte des 14. Jhdts. stellten die Türken eine ständige Bedrohung für die Ungarn dar, die der berühmte Feldherr János Hunyadi 1456 noch entschärfen konnte. Sein Sohn Matthias errichtete eine zentralistische Monarchie und eroberte Mähren, Schlesien und Teile Österreichs. Nach seinem Tod 1490 entstand ein Machtvakuum und der Apfel war reif zum Pflücken. Die ungarische Niederlage bei Mohacs gegen die Türken (1526) teilte das Land in drei Teile. Vom Westen aus etablierten sich die Habsburger, deren Interessen mit denen der Ungarn übereinstimmten: Beide sahen sich als Bollwerk gegen die Türken. Gegen Ende des 17. Jhdts. war die Rückeroberung großer Landesteile gelungen. Ein Versuch, die Habsburger zu Beginn des 18. Jhdts. zu vertreiben scheiterte.

In der Folge entstand ein pragmatisches Quid pro quo zwischen den Kaisern in Wien und dem ungarischen Adel. Von den napoleonischen Kriegen kaum betroffen, prosperierte Ungarn in der ersten Hälfte des 19. Jhdts., was auch die Entstehung und Verbreitung (national)liberaler Ideen förderte. Die Revolution von 1848 ging Franz Joseph I jedoch zu weit. Sie wurde mit Hilfe zaristischer Truppen niedergeschlagen. Kurzfristig zentralistisch von Wien aus regiert, zwangen die militärischen Niederlagen der 1860er Jahre die Habsburger 1867 zum "Ausgleich" mit Ungarn. Es entstand eine dualistische Föderation mit unabhängiger Verwaltung und Gesetzgebung, nur durch die Person des Kaisers verbunden. Ungarn erlebte eine wirtschaftliche und kulturelle Blütephase, die der erste Weltkrieg abrupt beendete.

Noch vor seinem offiziellen Ende wurde im Oktober 1918 die ungarische Republik ausgerufen, die nach wenigen Monaten von der kommunistischen Räterepublik abgelöst wurde. Auch diese war äußerst kurzlebig. Nach nur drei Monaten wurde eine Monarchie mit Miklós Horthy als Regenten proklamiert. Der aus ungarischer Sicht ungerechte Vertrag von Trianon und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ließen Ungarn in den 1930igern auf die Seite der Achsenmächte driften, was zum kurzfristigen Wiedergewinn verlorener Gebiete führte. Die Deutschen zweifelten an der "Zuverlässigkeit" der Ungarn und besetzten 1944 das Land. Dies bedeutete unter anderem das Ende des ungarischen Judentums. 1945 kam die rote Armee.

In den Wirren des Wiederaufbaus setzten sich 1948 die Kommunisten durch. 1956 kam es zum Aufstand unter Imre Nagy, der von den Sowjets blutig beendet wurde. 200.000 Ungarn verließen das Land. János Kádár und sein Gulaschkommunismus beherrschten über Jahrzehnte das politische und wirtschaftliche Leben in Ungarn. Es mag eine "sanfte" Diktatur gewesen sein, aber es war eine Diktatur! 1988 schickten die Reformkommunisten Kádár in Pension, Oppositionsparteien entstanden und runde Tische fanden statt. Die ersten freien Wahlen 1990 brachten eine Mitte-Rechts Regierung. Seitdem wechseln einander die großen politischen Lager nahezu regelmäßig ab. Am Reformkurs und an der europäischen Verankerung wurde immer festgehalten.

Weitere Informationen:

Offizielle Webseite der Republik Ungarn

Länderprofil

Margareta Stubenrauch, 13. April 2003, aktualisiert am 26. August 2010