Ostsee-Metropole, Poesie und Bernstein… Entdecken Sie Lettland! 24. Mai 2003
200 BesucherInnen folgten der Einladung zum lettischen Abend am 24. Mai 2003, deren Anlass die Austragung des Eurovisions-Songcontests in der lettischen Hauptstadt Rīga war. Nach dem Erfolg des Estland-Abends im Vorjahr entschlossen wir uns mit unseren Kooperationspartnern – der Botschaft der Republik Lettland, Stimmen für Europa und KulturKontakt Austria – zum zweiten Mal einen Abend zu Ehren des Songcontest-Gastlandes zu organisieren.
Zu Beginn boten zwei Kurzvideos über Lettland und Rīga einen ersten Einblick in dieses baltische Land. Danach stellten unsere lettischen Gäste unter Beweis, dass die Bedeutung der traditionellen Volkslieder (Dainas) für die lettische Identität keine leere Floskel ist, indem sie – ermuntert von den Moderatoren des Abends Sabina Naber und Hannes Heissl – eine spontane Gesangsdarbietung boten. Botschafterin Elita Kuzma drückte ihre Freude über das Zustandekommen dieses Abends aus und ermunterte alle Gäste zu einer Reise nach Lettland.
In einem Publikumsgespräch mit der Lyrikerin Amanda Aizpuriete, Unterstaatssekretär Dr. Armands Gūtmanis und dem Philosophen Dr. Igors Šuvajevs spürte Margareta Stubenrauch der lettischen Identität und dem kulturellen Beitrag Lettlands zu Europa nach. Dr. Gūtmanis, der u.a. der Historikerkommission zur Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Lettland angehört, bot zu Beginn einen kurzen Überblick über Lettlands Geschichte von der Hafenmetropole Rīga im Zarenreich über das ausgeplünderte, aber endlich unabhängige Land nach dem I. Weltkrieg, die Eingliederung in die Sowjetunion und die endgültige Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit 1991. Auch Lettlands Beziehungen v.a. zu Deutschland, Schweden und Russland wurden dadurch geprägt.
Dr. Šuvajevs wies darauf hin, dass die lettische Sprache große Bedeutung für die Identität und das Selbstbewusstsein der Letten hat. Auf die Frage, worüber denn die lettischen Intellektuellen derzeit diskutierten, meinte er lakonisch, dass doch nach den meisten Darstellungen Lettland ein Bauernland ist – wo sollte dort eine Intellektuellendebatte stattfinden?
Amanda Aizpuriete sprach über lettische Literatur, die stark von Poesie geprägt ist und deren Eigenheiten. Auf die Frage, ob es stimme, dass lettische Gedichte und Literatur eher schwermütig und melancholisch sind, meinte Frau Aizpuriete, dass die Letten "wirklich ein Problem mit dem Humor" haben, was an den langen Herbstabenden und der vielen Dunkelheit im Jahr liegen könnte. Bei aller Melancholie sei man aber nicht sentimental, denn Sentimentalität ist "zu banal”. Dr. Gūtmanis widersprach zum angeblich schwach ausgeprägten lettischen Humor und nannte aus seinem Bereich das Beispiel der vielen politischen Witze.
Armands Gūtmanis, in der Arbeitsgruppe für die Vorbereitung und Durchführung des Referendums zum EU-Beitritt tätig, sprach die beiden Hauptfragen seines Landes beim EU-Beitritt an. Die eine ist die Landwirtschaft und die Angst vorm Zugrundegehen der lettischen Bauern, wobei er feststellte, dass dies nur in den Städten ein Thema wäre ("ich dachte auch immer: ich bin doch ein Bauernvolk"), nicht bei den Landwirten selbst. Die zweite große Frage haben die Letten mit Österreichern gemeinsam: Was kann ein kleines Land bewegen? Was sie denn bewegen wollen, ist nicht so ganz klar.
Die Publikumsfragen reichten von der Geschichte zu den gleichen Nationalfarben Lettlands und Österreichs und über die große russische Minderheit in Lettland (30%) bis zu den beliebtesten Sportarten. Unterstaatssekretär Gūtmanis wies noch auf eine weitere Eigenheit Lettlands hin: der höchste Berg ist 312 m hoch, der Vorteil davon: “man sieht ihn von allen Orten in Lettland”.
Durch Gedichte, vorgetragen in lettischer und deutscher Sprache, gab uns Frau Aizpuriete einen Eindruck der zeitgenössischen lettischen Literatur und der lettischen Sprache. Harijs Bašs’ (der führende Jazzpianist Lettlands) und Viktors Zeļenkovs’ (Kontrabass) Jazzdarbietungen waren ein Höhepunkt des Abends.
Während des Buffets mit lettischem Bier gab es Gelegenheit für viele neue Kontakte, bevor sich die allgemeine Aufmerksamkeit dem Songcontest aus Rīga zuwandte und der Abend in Party-Stimmung ausklang.
Margareta Stubenrauch und Nadja Wozonig, 1. Juni 2003